Montag, 15. November 2010

Nachts in Darmstadt - mein neuer Freund

Von Jannis.

Nachts in Darmstadt... es hätte auch anderswo sein können. Vielleicht. Aber es hätte nicht einem anderen passieren können. Vermutlich. Glaube ich zumindest. Vielleicht lag es auch an diesem Abend, an dieser Nacht. Aber... ach, eigentlich war es so wie immer in solchen Nächten.

Es war am Heinerfest. Alle Heiner betrinken sich da. Auch die Odenwälder, die verhinderte Heiner sind. Und auch die, die keine Heiner sein wollen. Wie ich. Aber ich wollte feiern. Zuerst stand ich da, nichtsahnend. Philipp rannte mir in die Arme. Er wollte gleich weiter. Er hatte einen Unsinn getrieben. Einer seiner Lehrer stand plötzlich da, wollte die Polizei rufen. Philipp bat mich, schnell mit ihm zu flüchten. Aber das ist eigentlich eine andere Geschichte. Später war ich mit den Freunden von Philipp im Schlosskeller. Feiern nach dem Heinerfest. Und dann war drei Uhr morgens. Und ich dachte: Ach, da kannst du doch mal langsam Richtung Bahnhof schlappen. Und dann... dann fährt vielleicht ja auch eine Bahn?

Meinen iPod auf den Ohren, Sigur Ros taumeln durch meine Gehirnwindungen. Ich bin wie weggetreten. Denn... so müde... und so trunken... und so...
Ich höre ihn nicht, spüre ihn aber. Plötzlich läuft er neben mir, leicht schwankend. Er quatscht mich dumm von der Seite an. Doch ich verstehe erst mal nichts. Stöpsele meine Kopfhörer ab. "Rauchst du?" - "Nein, ich bin Nichtraucher. Sorry." - Kauf mir bitte Zigaretten!" - "Wieso? Kannst du das nicht selbst?" - "Nein, ich habe es schon versucht, es geht nicht!" Will dieser Mensch mich veräppeln?! Was ist da los? "Also, mein Gutster, genau vor mir ist eine Tankstelle. Da gehste rein, sagst, was du willst und gibst dem netten Mann das Geld. Ok?" - "Oh nein, ich kann nicht. Mach du es! Ich gebe dir das Geld!" Und tatsächlich: Er legt behutsam ein paar Münzen in meine Hand. Na, meinetwegen, denke ich mir. Wahrscheinlich weil ich sowieso benebelt bin. Er folgt mir. In der Tankstelle das absurde Bild: Ich stehe an der Theke, der Verkäufer - mit leichtem nervösen Zucken - gegenüber, er schaut mich schräg an, zieht leicht die rechte Augenbraue hoch. Ich sage: "Er möchte ein Päckchen..." Zum Typen gewandt: "Welche möchtest du?" - "Marlboro Light." Das auch noch, denke ich mir. "Also, er möchte ein Päckchen Marlboro Light." - "Gut", sagt der Verkäufer. Reicht mir das Päckchen rüber. Alles gut. Ich drücke die Zigarettenschachtel dem Typen in die Hand. Wir verlassen den Tankstellen-Shop. Der Typ schaut mich an. Er sagt: "Jetzt musst du mit mir rauchen." - "Ich rauche nach wie vor nicht!" Sein Blick wird leicht unruhig, aber eher kindlich-fordernd. Er sagt: "Doch, jetzt rauchst du eine mit mir. Du hast mir die Kippen gekauft, also rauchst du sie auch mit mir." Äh, was sollte ich darauf antworten. Ich bleibe verdutzt stehen. Dann: "Ja, ich weiß auch ein gutes Plätzchen dafür." Ich kriege es nun mit der Angst zu tun. Doch er meint eine Stelle, die sehr öffentlich ist, an der Straße, man kann sich schön anlehnen. Ich stehe da und rauche eine mit ihm. Dann kommen Leute dazu, schenken uns Bier. Gehen weiter. Der Typ beginnt merkwürdige Unterhaltungen. "Du bist doch schwul, oder?" - "Was geht es dich an? Willst du was von mir?" blaffe ich ihn an. "Nein, nein, ich habe eine Freundin. Aber ihr bester Freund ist schwul. Den finde ich cool. Alles perfekt, habe kein Problem, dass du schwul bist!" - "Wer sagt...." - "Äh, nein, alles cool, das ist schon perfekt so. Ich find dich toll. Du bist korrekt." - "Äh..." Diese Unterhaltung geht minutenlang weiter, ohne rechtes Ziel und ohne Sinn vor allem.

Plötzlich steht Ahmet neben uns. Um kurz nach vier oder so. Was macht der denn hier? Er ist der Mann einer Bekannten. Er muss gerade an den Bahnhof. Wir laufen mit. Er muss nach Rödermark. Ah, da fährt der Zug an Frankfurt vorbei. Ich also mit. Der Typ heftet sich an mich. Er möchte auch in Frankfurt übernachten. Schließlich wohne er da auch. "Ja, dann mach doch." - "Nee, geht nicht, das Auto steht bei meiner Freundin, und die wohnt am anderen Ende Darmstadts." Ich frage mich kurz, wieso er dann hier am Bahnhof steht, doch komme auf keine Lösung. Dann geht es hin und her. Ich weiß gar nicht, welche unsinnigen Argumente er hatte. Und wie vernünftig ich darauf reagierte. Oder auch nicht. Denn schlussendlich sagte ich leicht zerknirscht: "Kannst ja auch bei mir pennen..." Im nächsten Moment bereue ich es. Er lächelte glücklich. Was habe ich da nur angestellt? Wir sitzen in der Bahn. Ahmet, der Typ, ich. Ahmet ist wach. Wir beiden anderen nicken ein. Kurz vor der Konstabler wache ich auf. "Ahmet, ich muss raus." - "Und dein Freund?" Oh ja, denke ich mir. Mein neuer Freund. Ich schüttle ihn leicht. Doch er merkt nichts. Meine Bahn hält. Ich springe schnell hinaus. Der Typ hat nichts bemerkt. Ahmet schüttelt drinnen den Kopf. Ich winke. Erleichtert. Der Typ schläft und fährt derweil woanders hin. Bis nach Rödermark? Mir egal. Ich bin nochmal davongekommen, denke ich mir....

Freitag, 12. November 2010

Ringkøbing

Von Lydia.

Ich wusste nichts über ihn. Nichts. Ich könnte Ihnen seinen Namen verraten. Das genaue Alter. Den Geburtstort. Ich hätte mich hinaus schleichen, seine Schuhe umdrehen können um nach zu sehen, welche Schuhgrößer er trägt.
Was würde Ihnen das nützen? Nichts. Zahlen wären das dann, nichtssagende Zahlen und Buchstaben, die Worte formten.
Ich habe ihn mit dem Zug besucht. Nachmittags bin ich den Zug gestiegen, Schweiß gebadet in G. los gefahren. Kurz vor Mitternacht kam ich in der Stadt an, in der er wohnte. Eine Stadt in Dänemark, eine Stadt in der er vielleicht noch immer wohnt. Ringkøbing.
Wortlos nahm er mein Gepäck ab, welches gar nicht schwer war.
Wir fuhren Rolltreppen hinauf. Ich stand eine Stufe über ihm, drehte mich zu ihm herum. Wir grinsten einander wortlos an, bis ich die Augen schloss, den Kopf in den Nacken legte und nach oben sah, genau so, als stünde ich am Meer, röche die salzige Luft. So als wirbelte der Wind bereits in meinem Haar.

Ein paar Tage haben wir beieinander gelegen und übereinander lagen wir auch. Wir stapelten uns, klebten wie Feuerkäfer aneinander. Verknoteten unsere Arme und Beine miteinander. Wir redeten bis wir still wurden.

Es war so still.

Für einen Moment hätte man jedes noch so kleine Geräusch vernehmen können. Das Geräusch, welches Papier machen würde, wenn man es in der Hand zerdrückt, um es in den Papierkorb zu werfen. Es war so still, dass man selbst den Aufprall des zerknüllten Papieres noch hätte vernehmen können. Zwischen uns und der Stille entstanden Hurrikane.
Stille Hurrikane.
Sie kamen so schnell über uns, dass es mir unmöglich war zu begreifen, wie sie entstanden.

Kraftlos.

Nach jedem Mal. Immer, wenn all das vorbei war, waren wir müde und kraftlos. Wir mussten aufstehen, um zu schlafen. Wir nahmen den Bus.

Bus fahren um zum Meer zu gelangen.

Er setzte sich an den Strand, zog die Schuhe aus und malte Bilder mit den Füßen. Bilder die mir der kalte Wind als Sandkörner ins Gesicht schmiss. Manchmal peitschten sie wie Nadelstiche auf meiner Haut.

Ich sang seinen Namen vor mich hin, ein Name, der ihnen alles über ihn verraten würde.

Ich wickelte mir singend ein Handtuch um die Hüften und lief dem Meer entgegen. Aus der Ferne konnte ich sein klingelndes Telefon hören. Dort, wo das Wasser begann meine Füße zu umspülen, ließ ich das Handtuch fallen. Rannte, tauchte ein und tauchte unter. Bilder tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Ich als Kind, Hulla Hoop spielend im Garten meiner Eltern. Die schreienden Stimmen meiner Eltern, die aus dem Haus drangen. Ich sah meine Eltern vor mir, wie sie sich anschrien. Sie schrien, weil sie sich liebten, weil sie sich noch immer so sehr lieben.
Ich schwamm zurück an den Strand, wickelte mir mein Handtuch wieder um die Hüften und ging zurück zu ihm. Er malte noch immer Bilder in den Sand, telefonierte noch immer mit seiner Familie in einer Sprache, die ich nicht verstand, nie verstehen würde.

Ich setzte mich neben ihn, es waren keine anderen Menschen in der Nähe und nur deshalb legte er den Arm um mich. Mein Kopf sank an seine Schulter, in seinen Nacken. Ich schlief ein, als ich seinen Worten lauschte. Worte, die zusammen mit dem Rauschen des Meeres wie eine fremde besänftigende Melodie klangen.

Als ich aufwachte saß ich wieder im Zug nach G., halb erfroren, das grelle Innenlicht spiegelte sich in den Fensterscheiben. Ich konnte nichts mehr sehen.

Donnerstag, 11. November 2010

Flüchtig glücklich

Von Sparklenina.

Sonntagsmorgens, das Licht des schon fortgeschrittenen Tages färbt unsere nackten Körper von grau zu weiss, während unsere Geister locker zwischen Schlaf und Wachsein hin und her schwingen. Sanft lasse ich meinen Arm auf deiner Schulter nieder und lege meinen Kopf darauf. Von hier habe ich eine schöne Aussicht auf die linke Seite deines Halses, einen Teil deiner Brust und das Profil deines Gesichts, Ich beobachte dich mit müden Augen, lausche deinen gleichmässigen Atemzügen und frage mich, ob dich in diesem Moment irgendwer auf dieser Welt so gut kennt wie ich.

Mit ein wenig unerklärbarem Stolz betrachte ich dich. Der Alkohol der letzten Nacht hat dir die Farbe aus dem Gesicht genommen, der Schlaf dir einen neutralen Gesichtsausdruck verpasst. Ich frage mich ob du im Schlaf genau der bist, der du wirklich bist, da du dich ja nun nicht verstellen, benehmen, bemühen kannst. Dieser Moment hat etwas Pures, Friedliches an sich. Im nächsten Moment regst du dich, dein Kopf fällt ein wenig zur Seite, sodass ich nun nur deinen Nacken sehen kann. Wieviele wohl deinen Nacken so gut kennen? Ich frage mich, warum ich soviel Stolz empfinde in diesem Moment. Immerhin bist du gar nicht Meins; nie gewesen und auch nie als Solches versprochen.

Und doch sind es gerade diese Momente, die mein Leben so bereichern. Nein, das ist falsch ausgedrückt, mein Leben ist auch ohne diese Momente sehr reich, aufregend, und vor allem ganz anders als Deins. Dies ist auch der Grund warum es meist nur bei diesen Momenten bleibt. Sie verschwinden schnell und oft ohne die Gewissheit wann und vor allem ob sie wieder passieren. Ich habe mich gewöhnt, an diese Ungewissheit und irgendwie ist es auch genau das, was unsere Beziehung so aufregend, so einmalig, so chaotisch macht. Diese Momente sind wie Urlaub und nach Hause kommen auf einmal. Eine Flucht in das Vertraute, wo Worte fast unnötig, ja manchmal sogar stöhrend sind.

Unsere Beine sind verknotet, aber ich wage nicht meine zu bewegen. Ich will dich nicht aufwecken, dich denken lassen dass ich wieder hinaus will, in diese Welt in der wir nicht zusammen passen. Wo du mich in den Wahnsinn treibst und du mich nicht verstehen kannst. Wo du alte Freundschaften pflegst und ich immer mal wieder von der Bildfläche verschwinde. In der mich das Fernweh vertreibt während du tüchtig dein Leben auf festem Grund baust. Und wo die Menschen reden und analysieren und unsere Momente zerstören, verdrehen, und irgendwie verzerren. Da draussen sind wir getrennt, durch Kilometer, aber auch durch unsere eigenen Träume, Ziele, Gedanken. Wir sind wie gleichgepolte Magneten, wir stossen uns ganz natürlich ab. Doch manchmal ist die Sehnsucht, oder die Einsamkeit, die Lust, oder einfach nur der Spaß an der Sache so groß, so stark, dass es die Natur überwindet. So entstehen diese Momente. Unerklärbar und für viele unverständlich.

Draussen fallen die Regentropfen vom Fensterrahmen wie ein Vorhang. Es sieht aus als wäre es kalt und ungemütlich und nichts gibt mir den Wunsch jetzt dort hinaus zu gehen. Dein Körper wärmt mich und das gleichmässige Klopfen deines Herzens übertönt das Tropfen da draussen. Doch es wird Zeit. Ich lasse das Denken für eine Weile, versuche dieses Gefühl zu speichern, für die Nächte weit weg, alleine. Ich atme deinen Geruch ein, und bereite mich darauf vor diesen Moment von der Kategorie „Gegenwart“ in die Kategorie „Erinnerungen“ zu verschieben. Ich mag es nicht wirklich diejenige zu sein, die diese Momente beendet. Es gibt mir etwas Unruhiges, es macht mich irgendwie nervös. Ich seufze und drehe mich langsam von dir weg, richte mich auf und sehe dir zu wie du dich streckst und dir den Schlaf aus den Augen reibst. Der Moment ist vorrüber, einfach weg. Und obwohl ich mir darüber bewusst bin, dass ich ihn zum Gehen zwang, trage ich doch lieber diese Schuld als am Ende die Verlassene zu sein.